Expertise
zu der Frage
Sind Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe, der Richter kraft Auftrages oder der abgeordneten Richter zum Zwecke ihrer Erprobung Richter im Sinne von Art. 97 GG oder Beamte?
Die richterliche Unabhängigkeit ist in Art. 97 Bonner Grundgesetz geregelt. Dort heißt es in Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1:
(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.
(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden.
Entsprechend dieser Regelung hat das BVerfG sich in seiner Entscheidung vom 9. November 1955 in BVerfGE 4, 331 im 3. Leitsatz wie folgt geäußert:
„Gericht im Sinne des Grundgesetzes ist ein Gremium nur dann, wenn seine berufsrichterlichen Mitglieder grundsätzlich hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt sind, …“
In der Begründung heißt es entsprechend klar:
„2. a) Zu diesen Anforderungen gehört jedenfalls, daß alle Mitglieder des Gerichts unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind,…
b) Der verfassungsrechtliche Schutz der persönlichen Unabhängigkeit knüpft nicht mehr an die Ernennung auf Lebenszeit an, sondern an die hauptamtlich und planmäßig endgültige Anstellung, d. h. an die Einweisung des Richters in eine Planstelle für die Dauer seiner Amtszeit. …
… Nach Art. 97 Abs. 2 GG ist deshalb einem Gremium der Charakter als Gericht abzusprechen, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen eines oder mehrere seiner Mitglieder stets … persönlich abhängige Beamte sind, die innerhalb ihrer Amtszeit ohne Gerichtsverfahren jederzeit versetzt oder abgesetzt werden können.
Nur diese Deutung des Art. 97 Abs. 2 GG entspricht auch rechtsstaatlichen Grundsätzen: denn es ist einmal zu besorgen, daß jederzeit vom Widerruf bedrohte Richter sich mittelbar in ihrer sachlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlen, und zum anderen, daß die Rechtsuchenden einem Gericht mit Mißtrauen begegnen, das mit Richtern besetzt ist, die grundsätzlich auf diese Art von der Exekutive abhängig sind.“
Die Kriterien der richterlichen Unabhängigkeit hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 24. Januar 1961 in BVerfGE 12, 81 wie folgt beschrieben:
„Was zu den für das Amtsrecht der Richter charakteristischen hergebrachten Grundsätzen im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG gehört, braucht im vorliegenden Fall nicht abschließend erörtert zu werden. Jedenfalls gehört dazu der elementare Grundsatz der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit des Richters. Die dem Richter vom Grundgesetz garantierte sachliche und persönliche Unabhängigkeit bedeutet nicht nur, dass der Richter keinerlei Weisungen unterworfen und nicht wider seinen Willen aus seinem Amt entfernt werden darf. Ein wirksamer Schutz der richterlichen Unabhängigkeit erfordert mehr. Zu den Voraussetzungen für die Unabhängigkeit des Richterstandes gehört mindestens die angemessene — feste — Besoldung (vgl. § 7 GVG) und der Ausschluss jeder vermeidbaren Einflussnahme der Exekutive auf den Status des einzelnen Richters.“
Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe, der Richter kraft Auftrages oder der abgeordneten Richter zum Zwecke ihrer Erprobung erfüllen diese Kriterien nicht. Sie erfüllen lediglich die Kriterien eines weisungsgebundenen Beamten.
Zum Richter auf Probe, früher Gerichtsassessor, kann ernannt werden, wer die große juristische Staatsprüfung bestanden hat. Spätestens fünf Jahre nach seiner Ernennung zum Richter auf Probe ist er zum Richter auf Lebenszeit zu ernennen.
Richter auf Lebenszeit können auf Antrag zum Zwecke ihrer Erprobung für ein von ihnen angestrebtes höheres Richteramt (z.B. Vorsitzender Richter eines Kollegialgerichtes) an ein anderes Gericht abgeordnet werden.
Richter kraft Auftrags sind Richter, die nicht planmäßig auf Lebenszeit ernannt sind und deren spätere Berufung in ein Richteramt auf Lebenszeit noch ungewiss ist.
Richter auf Probe, Richter kraft Auftrags und auf Antrag zum Zwecke der Erprobung abgeordnete Richter besitzen die gemäß Art. 92 und 97 GG geforderte persönliche Unabhängigkeit nicht, da diese in vielerlei Hinsicht bei ihnen eingeschränkt ist.
Für den Richter auf Probe und Richter Kraft Auftrages ergibt sich die Abhängigkeit aus den Vorschriften der §§ 22 und 23 DRiG. Ihr Status im Sinne des hergebrachten Amtsrechts ist im Beamtenverhältnis begründet, nicht im Richteramtsverhältnis. Als Richter ist ihnen entsprechend ihrer Funktion zwar sachliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG garantiert, nicht dagegen die persönliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG.
Der auf Antrag zum Zwecke der Erprobung abgeordnete Richter muss sich darauf einstellen, dass eine Verlängerung aus im einzelnen nicht weiter nachprüfbaren Gründen unterbleibt und er auch bei der Besetzung freier Stellen in dem Gerichtszweig, in dem er tätig ist, nicht berücksichtigt wird, obwohl er unter Umständen ausschließlich für die speziellen Aufgaben dieser Gerichtsbarkeit ausgebildet ist.
Sowohl für den Proberichter als auch für den abgeordneten Richter gilt im Übrigen, dass sie auf eine wohlwollende Benotung angewiesen sind, um ihr berufliches Ziel zu erreichen, was sie für willfähriges und korruptives Verhalten anfällig macht. Das gilt für den Richter auf Probe umso mehr, weil er im Falle seiner Entlassung aus dem Richteramt nicht in einem Beamtenverhältnis verbleibt.
Da die Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe, der Richter kraft Auftrages oder der abgeordneten Richter zum Zwecke ihrer Erprobung nicht die grundgesetzlich erforderliche persönliche Unabhängigkeit im Sinne von Art. 97 Abs. 1 GG besitzen, dürfen ihnen keine richterlichen Dienstgeschäfte übertragen werden.
In der Erprobungsphase ist auch die sachliche Unabhängigkeit der Hilfsrichter nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht gewährleistet, auch wenn sie durch die gesetzlichen Regelungen in Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 GVG und § 25 DRiG normiert zu sein scheint. Zwar wird es in der Praxis der Gerichte nicht zu offen erkennbaren Weisungen gegenüber Hilfsrichtern kommen, aber eine unabhängige Entscheidung eines Hilfsrichters ist nicht zu erwarten, wenn er glaubt, wegen bestimmter Entscheidungen dienstliche Nachteile befürchten zu müssen. Deshalb kommt man nicht darum hin, sachliche Unabhängigkeit und persönliche Unabhängigkeit nicht als zwei voneinander trennbare Unabhängigkeiten anzusehen, sondern als zwei Gruppen von Voraussetzungen der einen richterlichen Unabhängigkeit (so auch der Hochschulassistent Dr. Rainer Lippold, Hamburg 1991, in seiner Expertise „Der Richter auf Probe im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention“ in NJW 1991 S. 2383 – 2391).
Die Auswirkungen der verfassungswidrigen Zuweisung von Hilfsrichtern in Gestalt der Richter auf Probe zum Zwecke der Rechtsprechung und der verfassungswidrigen Zuweisungen von richterlichen Dienstgeschäften in den Geschäftsverteilungsplänen der jeweiligen Gerichte sind enorm.
Nicht nur die von den Hilfsrichtern getroffenen Entscheidungen sind nichtig, sondern alle richterlichen Entscheidungen des betreffenden Gerichts, weil die Geschäftsverteilungspläne wegen der verfassungswidrigen Zuweisung von richterlichen Geschäften an Hilfsrichter insgesamt ungültig sind. Der jeweils zur Entscheidung aufgerufene gesetzliche Richter kann nämlich nicht gemäß der absolut gefassten Vorschrift des Art. 101 GG ermittelt werden. Nichtige Entscheidungen existieren nicht (oder nur zum Schein) und haben keinerlei Rechtswirkungen. Sie können daher auch nicht als Rechtsöffnungstitel dienen.
Hilfsrichter in anderer Funktion hat es im deutschen Rechtssystem bereits lange vor dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes gegeben. Der Begriff des Hilfsrichters taucht erstmals im Gesetz über die Zuziehung von Hilfsrichtern an das Reichsgericht vom 01.03.1930 (RGBl. I, S. 31 v. 13.03.1930) auf. Dort heißt es:
„Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird:
Der Reichsminister der Justiz wird ermächtigt, für die Zeit bis längstens zum 1. April 1933 aus der Zahl der Mitglieder der Oberlandesgerichte und Landgerichte sowie der Amtsrichter und Vorsitzenden von Arbeitsgerichten Hilfsrichter zum Reichsgericht zur Erledigung der Geschäfte der zivil- und Strafsenate einzuberufen. Die Abordnung eines Hilfsrichters ist für die Zeit, für die er berufen ist, unwiderruflich.”
Erkennbar sind dort Richter auf Lebenszeit für einen bestimmten Zeitraum zur Dienstleistung an das Reichsgericht abgeordnet worden.
Nach der illegalen Machtübernahme durch das NS-Terrorregime am 05.03.1933 hat der Reichsminister der Justiz auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes vom 24.03.1933 sowie aufgrund des Art. V. des Ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16.04.1934 am 20. März 1935 die Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung erlassen. Im Art. VI. der Verordnung heißt es:
„Hilfsrichter § 10 (GVG)
(1) Die Richter an den Amtsgerichten und an den Landgerichten sind verpflichtet, richterliche Geschäfte an einem Gericht der ordentlichen oder der besonderen Gerichtsbarkeit im Bezirk des Landgerichts und am übergeordneten Oberlandesgericht wahrzunehmen.
(2) Soweit der Reichsminister der Justiz ein Bedürfnis anerkennt, können bei einem Gericht Richter beschäftigt werden, die bei ihm nicht planmäßig angestellt sind, bei den Landgerichten und Amtsgerichten auch Gerichtsassessoren. Sie werden vom Präsidenten des Oberlandesgerichts einberufen.“
Zwar erhielt diese Regelung im (Un-)Rechtssystem des Dritten Reiches Gültigkeit, da der Reichsminister der Justiz gemäß Art. V. des Ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16.04.1934 am 20. März 1935 befugt war, die persönliche Unabhängigkeit für die Gerichtsassessoren im Verordnungswege aufzuheben. Die Vorschrift des Art. V. lautet:
„Der Reichsminister der Justiz wird ermächtigt, alle Bestimmungen zu treffen, die durch den Übergang der Justizhoheit auf das Reich erforderlich werden.“
Sodann erließ der Reichsminister der Justiz die Verordnung über die Laufbahn für das Amt des Richters und des Staatsanwalts vom 29. März 1935 (RGBl. I, S. 487, v. 30. März 1935). In § 5 heißt es:
„Wer in den Probedienst oder als Anwärter übernommen wird, ist einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft als Stammbehörde zuzuteilen. Er ist verpflichtet, bei jedem Gericht der ordentlichen und der besonderen Gerichtsbarkeit im Bereich der Justizverwaltung die Geschäfte eines Richters und bei jeder Staatsanwaltschaft die Geschäfte eines Staatsanwalts wahrzunehmen.“
Diese „Verordnung“ erfuhr ihre Neuerung mit der Verordnung über die Laufbahn für das Amt des Richters und des Staatsanwalts vom 16. Mai 1939 (RGBl. I, S. 917, v. 20. Mai 1939), die ebenfalls vom Reichsminister der Justiz erlassen wurde. In den §§ 5 und 7 heißt es fortan:
„Wer als Anwärter übernommen wird, ist verpflichtet, bei jeder Behörde der Reichsjustizverwaltung Aufgaben des höheren Justizdienstes wahrzunehmen.“
„Wer zum Richteramt befähigt ist, kann mit der Wahrnehmung richterlicher oder staatsanwaltschaftlicher Aufgaben vorübergehend betraut werden. Dazu bedarf es der Genehmigung des Reichsministers der Justiz; diese kann allgemein erteilt werden.“
Mit dem Tode des Usurpators und Massenmörders Adolf Hitler am 30.04.1945 sowie der bedingungslosen Kapitulation des NS-Terrorregimes am 08.05.1945 sind das Ermächtigungsgesetz vom 24.03.1933 sowie das Erste Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16.04.1934 und die Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung 20. März 1935 sowie die Verordnung über die Laufbahn für das Amt des Richters und des Staatsanwalts vom 29. März 1935 und vom 16. Mai 1939 ersatzlos untergegangen, was durch die für allgemeingültig (inter omnes) erklärte „Tillessen/Erzberger-Entscheidung“ des Alliierten Tribunal Général in Rastatt vom 06.01.1947 deklaratorisch ausdrücklich mit bindender Wirkung für zunächst alle deutschen Gerichte und Behörden festgestellt und mit dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes am 23.05.1949 gemäß Art. 139 GG auch für den einfachen Bundes- und Landesgesetzgeber, die vollziehende und rechtsprechende Gewalt einschließlich der Verfassungsgerichtsbarkeit geregelt worden ist.
Nach dieser Erkenntnis kann festgestellt werden, dass der einfache bundesdeutsche Gesetzgeber originär entgegen der Vorschrift des Art. 97 Abs. 1 GG verfassungswidrig die Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe und der Richter kraft Auftrages im bundesdeutsche Rechtssystem installiert hat. Das ist wie folgt geschehen:
- Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtssicherheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950, Artikel 1, I. Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes:
Das Gerichtsverfassungsgesetz wird wie folgt geändert:
4. § 6 tritt wieder in folgender Fassung in Kraft:
„Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt.“
8. § 10 erhält folgende Fassung:
„Nach näherer landesrechtlicher Bestimmung können Gerichtsreferendare mit der Wahrnehmung einzelner richterlicher Geschäfte betraut werden. Der Auftrag ist in jedem Fall durch den Richter aktenkundig zu machen.
Bei Amtsgerichten und Landgerichten kann, wer zum Richteramt befähigt ist, als Hilfsrichter verwendet werden, ohne gemäß § 6 zum Richter auf Lebenszeit ernannt zu sein.“
- Mit dem Gesetz zur Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte vom 26.05.1972, Art. 2 Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes:
Nr. 5 § 22 wird wie folgt geändert: c) Folgender Absatz 5 wird angefügt:
„Es können Richter auf Probe und Richter kraft Auftrags verwendet werden.“
Nr. 12. § 59 erhält folgende Fassung:
(3) Es können Richter auf Probe und Richter kraft Auftrages verwendet werden.“
- Mit der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 21.01.1960, 2. Abschnitt Richter:
- § 15
(1) Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt, soweit nicht in §§ 16 und 17 Abweichendes bestimmt ist.
- § 16
Bei dem Oberverwaltungsgericht und bei dem Verwaltungsgericht können auf Lebenszeit ernannte Richter anderer Gerichte und ordentliche Professoren des Rechts für eine bestimmte Zeit von mindestens zwei Jahren, längstens jedoch für die Dauer ihres Hauptamtes, zu Richtern im Nebenamt ernannt werden.
- § 17
(1)Bei dem Oberverwaltungsgericht und bei dem Verwaltungsgericht können Hilfsrichter bestellt werden.
(2)Soweit es sich nicht um einen planmäßigen, auf Lebenszeit angestellten Richter handelt, muss der Hilfsrichter für eine bestimmte Zeit von mindestens einem Jahr bestellt und darf nicht vorher abberufen werden.
- § 18
Richter im Nebenamt und Hilfsrichter können nicht den Vorsitz führen. In einer Kammer (Senat) darf nicht mehr als ein Richter im Nebenamt oder Hilfsrichter mitwirken.
Mit dem Erlass des Deutschen Richtergesetzes vom 08.09.1961 wurden die Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe und Kraft Auftrages verfassungswidrig einfachgesetzlich verankert.
Eine weitere verfassungswidrige Verankerung der Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe und Kraft Auftrages ist in den jeweiligen Prozessgesetzen erfolgt.
An der verfassungswidrigen Übertragung von richterlichen Dienstgeschäften auf Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe, der Richter kraft Auftrages ändert die einfachgesetzliche Regelung in § 22d GVG nichts.
Die Regelung des § 22d GVG wurde mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtssicherheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 erstmalig eingeführt. Sie lautete:
„Die Gültigkeit der Handlung eines Amtsrichters wird nicht dadurch berührt, dass die Handlung nach der Geschäftsverteilung von einem anderen Richter wahrzunehmen gewesen wäre.“
Sie wurde mit dem Gesetz zur Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte vom 26.05.1972, Art. 2, Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes geändert. Der Auftrag zur Änderung lautete:
„6. In 22d […] wird das Wort „Amtsrichters“ durch die Worte „Richters beim Amtsgericht“ ersetzt;“
Die Vorschrift des § 22d GVG lautet jetzt:
“Die Gültigkeit der Handlung eines Richters beim Amtsgericht wird nicht dadurch berührt, daß die Handlung nach der Geschäftsverteilung von einem anderen Richter wahrzunehmen gewesen wäre.”
Das Ersetzen des Wortes „Amtsrichters“ im § 22d GVG durch die Worte „Richters beim Amtsgericht“ steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte durch das o.a. Gesetz vom 26.05.1972. Mit Artikel I dieses Gesetzes wurde das Deutsche Richtergesetz mit §19a (Amtsbezeichnungen) wie folgt geändert:
(1) Amtsbezeichnungen der Richter auf Lebenszeit und der Richter auf Zeit sind „Richter“ mit einem das Gericht bezeichnenden Zusatz (Richter am…)“
(2) Richter kraft Auftrags führen im Dienst die Bezeichnung „Richter“ mit einem das Gericht bezeichnenden Zusatz (Richter am…)“
(3) Richter auf Probe führen die Bezeichnung „Richter“…
Mit dieser Änderung der Amtsbezeichnungen musste ein Oberbegriff für die Amtsrichter und die Hilfsrichter in Gestalt der Richter auf Probe und kraft Auftrages gefunden werden, was mit der Bezeichnung „Richter beim Amtsgericht“ erfolgt ist. Mit dieser Regelung ging die deutliche Unterscheidung zwischen dem hauptamtlich und planmäßig angestellten Richter und dem Hilfsrichter verloren, damit auch die Erkennbarkeit des persönlich und sachlich unabhängigen Richters gemäß Art. 97 Abs. 1 GG, der allein als gesetzlicher Richter gemäß Art. 101 GG zur Rechtsprechung berufen ist.
Bezogen auf den Hilfsrichter in Gestalt des Richters kraft Auftrages ist zusätzlich anzumerken, dass nicht einmal mehr dessen originäre Herkunft aus dem Beamtenverhältnis erkennbar ist, da er wie ein hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellter Berufsrichter mit dem Zusatz z.B. „Richter am Amtsgericht“ oder „Richter am Verwaltungsgericht“ pp anstelle „Richter kraft Auftrages“ bezeichnet wird.
Diese begriffliche Verwässerung des mit der Rechtsprechung grundgesetzlich beauftragten Richters, womit ausschließlich der hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellte Berufsrichter gemeint ist, hat weitreichende unmittelbare Auswirkungen auf die Regelung des § 22d GVG, weil zum Einen die Aushebelung des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 GG verfassungswidrig ist und zum Anderen die Heranziehung von Hilfsrichtern in Gestalt der Richter auf Probe, kraft Auftrages und der abgeordneten Richter zum Zwecke ihrer Erprobung zur Rechtsprechung weiter verfassungswidrig ist.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Regelung durch den § 22d GVG sowohl in der ersten Fassung vom 12.09.1950 als auch in der heute noch gültigen Fassung vom 26.05.1972 aufgrund der absolut gefassten Vorschrift des Art. 101 GG nichtig ist, weil sie mit den ranghöheren Normen der Art. 97 und 101 GG kollidieren. Die Regelungen im § 22d GVG haben eröffnet bzw. öffnen der Willkür bei der Zuordnung von Verfahren bei den Amtsgerichten Tor und Tür. Zur Nichtigkeit einer Kollisionsnorm mit einem Freiheits-grundrecht hat der Staatsrechtslehrer Prof. Dr. Heintzen, Freie Universität Berlin, zuletzt 2001 sich zutreffend wie folgt geäußert:
„Verletzt ein Gesetz ein Freiheitsgrundrecht, so folgt daraus die Nichtigkeit des Gesetzes weil nur so der Grundrechtseingriff zu beheben ist. Die Rechtsfolge ist hier eindeutig.“
Damit gilt für die von grundgesetzlich nicht zur Rechtsprechung berufenen Hilfsrichter getroffenen Entscheidungen wieder folgendes:
Nichtige Entscheidungen existieren nicht (oder nur zum Schein) und haben keinerlei Rechtswirkungen. Sie können daher auch nicht als Rechtsöffnungstitel dienen.
Aufgrund der Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK sowie des Art. 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta der Europäischen Union gilt für die Vertragsstaaten, zu denen die Bundesrepublik Deutschland gehört, eine im Ergebnis gleiche Regelung. Nach Kenntnis des Unterzeichnenden werden denn auch in den übrigen Vertragsstaaten Richter, die die sachliche und / oder persönliche Unabhängigkeit nicht besitzen, nicht zur Rechtsprechung herangezogen.
Zu dieser Thematik ist weiterhin anzumerken, dass Richter auf Probe trotzdem sie Beamte auf Probe sind, keinen Beamteneid gemäß § 38 BeamtStG in Verbindung mit den entsprechenden Beamtengesetzen der Länder leisten, sondern den Richtereid gemäß § 38 DRiG, welcher jedoch ausschließlich (gemäß Art. 97 GG persönlich und sachlich und damit von Weisungen unabhängige Berufsrichter darauf verpflichtet: »das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, …«.
Die Rechtsprechung ist gemäß Art. 92 GG den Richtern anvertraut. Richter i.S.d. Art. 92 GG sind gemäß Art. 97 GG auf Lebenszeit ernannte Berufsrichter und persönlich und damit sachlich unabhängig von Weisungen eines Dienstherren und nur dem Gesetz unterworfen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein »Grundrecht« für Richter, sondern um ein Grundrecht des Bürgers auf einen tatsächlich persönlich und sachlich unabhängigen Richter, welcher schwört: »Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, (…)«
Dementsprechend leisten Richter auf Lebenszeit gemäß Art. 97 Abs. 1 Halbsatz 2 GG i.V.m. § 38 DRiG einen Richtereid, der sie u.a. allgemein zum Dienst an der Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet, und damit kein Dienst- und Treueverhältnis i.S.d. Art. 33 Abs. 4 GG gegenüber einem (speziellen) Dienstherren i.S.d. § 2 BBG oder § 2 BeamtStG begründet, sondern durch die der Richter seine durch Art. 97 Abs. 1 Halbsatz 2 GG begründete ausschließliche Unterwerfung unter das Gesetz persönlich anerkennt.
Der Richter auf Probe ist dagegen ein vorläufiger und weisungsgebundender Beamter eines (speziellen) Dienstherren. Beamte haben gemäß Art. 33 Abs. 4 GG i.V.m. § 38 BeamtStG einen Diensteid in Verbindung mit den entsprechenden Beamtengesetzen der Länder zu leisten. Durch diesen freiwilligen Diensteid verzichten Beamte im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse auf die Ausübung ihrer Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat und treten selbst in den grundrechtsverpflichteten Status ihres Dienstherren ein.
Der Diensteid verpflichtet den Beamten auf das ihm anvertraute Amt und damit auf den jeweiligen Dienstherren über das Amt und muss gemäß § 38 BeamtStG eine besondere Verpflichtung auf das Grundgesetz enthalten. Der Diensteid gilt ausschließlich gegenüber dem Dienstherren und begründet somit ein besonderes Dienst- und Treueverhältnis des Beamten zu einem Dienstherren i.S.d. Art. 33 Abs. 4 GG.
Der gemäß § 38 DRiG von auf Lebenszeit ernannten Berufsrichtern (§ 1 DRiG) zu schwörende Richtereid ist dementsprechend auf den Richter bzw. Beamten auf Probe nicht anwendbar. Dieser hat einen Diensteid für Beamte gemäß § 38 BeamtStG zu leisten. Ein Richter bzw. Beamter auf Probe, welcher keinen ein Dienst- und Treueverhältnis i.S.d. Art. 33 Abs. 4 GG begründenden Diensteid gegenüber einem Dienstherren gemäß § 38 BeamtStG ablegt, kann demzufolge aufgrund seiner nicht durch einen Diensteid aufgehobenen persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit gegenüber einem Dienstherren von diesem nicht zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse herangezogen werden.
Als Beamter darf er weiterhin gemäß Art. 92 GG keine rechtsprechende Gewalt ausüben. Dahingehende anders lautende Ermächtigungen durch einfache Gesetze sind unvereinbar mit dem Grundgesetz. Art. 92 GG ist als ranghöchste Rechtsnorm insoweit lex specialis gegenüber ihm entgegenstehenden einfachgesetzlichen Vorschriften. – Ende –
Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes bis heute – Fehlanzeige -.