Ist eigentlich die Zwangsmitgliedschaft in sogenannten Berufskammern oder berufsständischen Körperschaften bzw. der Verlust der Berufsfreiheit durch den Ausschluss aus einer solchen mit dem Bonner Grundgesetz vereinbar?
Wernicke in Bonner Kommentar 1950, II. Erläuterungen 1. d) zu Art. 9 GG:
»Mit dem dort statuierten Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist die Freiheit zum Handeln in den verschiedensten Lebensbereichen gewährleistet (vgl. insbesondere Art. 2, Erl. II 1 a, e). Dieses – umfassende – GR. der allgemeinen Handlungsfreiheit schützt damit auch die Freiheit der Willensentschließung eines jeden Einzelnen zur Bildung bzw. zum Beitritt zu Vereinigungen. Für diese allgemeine persönliche Freiheit ist auch kein Gesetzesvorbehalt, wie er z.B. bei Art. 2 II besteht, aufgestellt, sondern bestehen lediglich die in Art. 2 I Halbsatz 2 aufgerichteten Schranken (vgl. Art. 2, Erl. II 1 b, d). Zwang ist daher unzulässig. (Für das gleichgelagerte Problem der negativen Koalitionsfreiheit vgl. noch Erl. II 3 e.) Dieses Ergebnis ist von weittragender Bedeutung. Es sind nämlich alle entgegenstehenden Bestimmungen wie z.B. über Zwangsmitgliedschaft in Innungen, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Anwaltskammern usw., mit dem BGG. unvereinbar. Die »Selbstverständlichkeit«, mit der sich die bisherigen Zwangsmitgliedschaften – unangefochten – weiter behaupten, muß überraschen. – (Vgl. noch Schindler in DÖV. 1950, Heft 16, S. 485, Ziff. VIII).«
Zur sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, also der Freiheit einer Koalition nicht beizutreten, erklärt Wernicke weiter in Bonner Kommentar 1950, II. Erläuterungen 2. e) zu Art. 9 GG:
»Zur Frage der negativen Koalitionsfreiheit ist zu bemerken, daß das im GG.-Entwurf zunächst vorgesehene ausdrückliche Verbot von Beitrittszwang in der 2. Les. des HptA. endgültig gestrichen worden ist. Aus dieser Streichung kann aber keinesfalls gefolgert werden, daß damit ein Koalitionszwang im üblichen Sinne anerkannt werden sollte. Das würde schon dem freiheitlich demokratisch ausgerichteten Grundcharakter des BGG., sowie vor allem der im GR.-Katalog klar zum Ausdruck gelangten verstärkten Betonung des Individualrechts wie der freien Stellung des Einzelnen im und zum Staat widersprechen (…)«
Eine solche Einschränkungsmöglichkeit sieht Art. 9 Abs. 3 GG ersichtlich nicht vor, sondern er garantiert im Gegenteil die Koalitionsfreiheit als Grundrecht ohne jeden Vorbehalt für jedermann und für alle Berufe. Daraus schlussfolgert zwingend, dass jede Einschränkung des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit eine nichtige Absprache oder eine dagegen gerichtete rechtswidrige Maßnahme im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt und demzufolge eine unzulässige Verletzung des Grundrechts durch den Staat als den Grundrechten verpflichtet begründet.
Nichtsdestotrotz haben sich bundesweit alle Steuerberater und Steuerbevollmächtigte bis heute dem ausnahmslos grundgesetzwidrigen Kammerzwang unterworfen mit der Folge, dass ihr sämtliches beratendes Tun und Lassen ebenfalls als grundgesetzwidrig bzw. sogar auch als grundgesetzfeindlich und mithin mandantenschädigendes einzustufen ist. Details zum grundgesetzwdrigen Kammerzwang lesen sich in der einschlägigen Expertise – Kammerzwang – .
Prof. Ralf Banken berichtet auf Seite 314 ff. seines 2018 erschienenen Werkes, „Hitlers Steuerstaat“:
Eine der zweifellos wichtigsten Maßnahmen war die Verdrängung unerwünschter Steuerberater auf Grund des 1933 neu eingeführten Zulassungsverfahrens. …. Im Gesetz vom 06. Mai 1933 (RGBl. I. 1933 S. 257) über die Zulassung von Steuerberatern, welches den Begriff Steuerberater erstmals definierte, ….wurde dessen Zuverlässigkeit, persönliche Eignung und ein Nachweis der Sachkunde gefordert. Gleichzeitig wurde das Kartell vom Reichsminister der Finanzen zusammen mit dem Justizminister mit dem Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiet der Rechtsberatung vom 12. Dezember 1935 geschützt. Es folgt die Einfügung von § 107 a RAO. Zahlreiche Erlasse und Verfügungen grenzten die freie Berufstätigkeit der Steuerberater und Helfer in Steuersachen weiter ein. So wurde politische Zuverlässigkeit, Schriftgewandtheit und die Gabe zum mündlichen Vortrag Voraussetzung für die Berufsausübung. S. 318: Nach Fritz Reinhardt – [einem NS-Verbrecher, der nach Verbüßung einer kurzzeitigen Haftstrafe nach 1949 als Steuerberater tätig wurde] – sollten sich die Steuerberater zu einem Elitestand entwickeln. Der Bewerber für diesen Beruf wurde von den Oberfinanzpräsidenten in Bezug auf arische Abstammung, politische Zuverlässigkeit auch in Bezug auf schriftlichen und mündlichen Vortrag sowie auf Sachkunde überprüft. Darüber hinaus beurteilte der Oberfinanzpräsident das bisherige Verhalten des Antragstellers gegenüber der Finanzverwaltung. Nur bei einer positiven Beurteilung wurde er vom Finanzministerium für einen Lehrgang und die damit verbundene Prüfung an der Reichsfinanzschule zugelassen. [Das Verfahren wurde vergleichbar nach 1949 fortgesetzt]. Allerdings konnten sich Steuerexperten, die sich lange Jahre in der Steuerpraxis hervorragend bewährten, von der Prüfung befreien lassen, worüber im Einzelfall jedoch allein das Finanzministerium entschied. S. 320 benda: Für Reinhardt und die Finanzbeamten war von höchstem Interesse, die vollständige Kontrolle über die Anbieter von Steuerberaterdienstleistungen zu übernehmen. Dies geschah durch das Herausdrängen anderer NS-Institutionen und des Reichsjustizministeriums, aus der staatlichen Aufsicht über Steuerberater, obwohl diese ….. bei der Kammerorganisation geholfen hatten. Steuerberater wurden als „Wirtschaftsrechtswahrer“ zusätzlich organisiert. Zusätzlich baute das Finanzministerium ab 1936 ein Netz von Vertrauensmännern und Beiräten aus Steuerberatern und Helfern in Steuersachen bei den Oberfinanzpräsidenten auf, die jeweils von den Oberfinanzpräsidenten ausgewählt und vom Finanzminister bestellt wurden. Im Juni 1943 organisierte Fritz Reinhardt eine eigene Kammer der Steuerberater [Tz. 25 des Parteiprogramms der NSDAP vom 24.02.1920 war damit auch auf dieser Ebene genüge getan]. Die Steuerberater, Helfer in Steuersachen waren zudem durch die Zulassungspraxis diszipliniert worden, so dass die Forderung des Bundes deutscher Reichssteuerbeamter aus dem Herbst 1932 umgesetzt waren. S. 322: So wurden nicht nur „nichtarische Bewerber“ oder politisch Unzuverlässige …. von der Steuerberatung ausgeschlossen, sondern auch „Querulanten“ und andere Steuerberater und Helfer in Steuersachen, die nach Meinung der Reichsfinanzverwaltung zu vehement für ihre Klienten eintraten. So versagte das Reichsfinanzministerium z. B. Rechtsanwalt Richard Gießmann aus Breslau im Januar 1938 die Zulassung zum Lehrgang weil er seine Mandanten „gegen die Reichsfinanzverwaltung in einer Form vertrat, „die man nicht als zeitgemäß, d.h. verantwortungsbewusst am Gemeinwohl des Staates und unter Voranstellung der Volksgemeinschaft bezeichnen kann (BAB R2 Nr. 56270).
S. 323: Fritz Reinhardt forderte in einer Rede bei der Eröffnung der Reichsfinanz-schule Berlin im Sommer 1938 daß die steuerlichen Berater ….. zum verlängerten Arm der Finanzverwaltung herangebildet werden sollten. Sie sollten sich über die fachliche Zielsetzung hinaus auf dem Gebiet des Steuerrechtes als „Rechtswahrer“ und „Soldaten Adolf Hitlers“ fühlen. 1943 ergänzte Reinhardt dieses Diktum, als er von den Steuerberatern verlangte, daß sie zum Mittler zwischen den Steuerpflichtigen und den Finanzbehörden würden. …. Die Aufgabe des Steuerberaters sei es, den Finanzbehörden die Arbeit zu erleichtern und zu einer Verminderung ihres Arbeitsanfalls beizutragen, weil die Steuerrechtswahrer auch in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zum Reich und zur Reichsfinanzverwaltung stünden. Diese Forderung fand Eingang in die Hand- und Lehrbücher. Karl Neidlinger formulierte in seiner Dissertation „Die rechtliche Stellung des Steuerberaters“ von 1938 das Rechtsverhältnis zwischen Berater und Finanzbehörde: „Die Darstellung hat die Doppelstellung des Steuerberaters gezeigt. „Die Stellung des Steuerberaters ist zu-nächst eine Vertrauensstellung gegenüber dem Auftraggeber, dann ein Treueverhältnis gegenüber dem Reich“.
Fakt ist, dass die Systematik nach 1949 fortgeführt worden ist, weshalb der Steuerberater sowie die anderen Angehörigen der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe eben keinesfalls ihren Beruf frei ausüben, sondern „Privatbeliehene“ öffentlicher Gewalt sind. Dies ist nach dem Diktat des Bonner Grundgesetzes seit dessen Inkrafttreten am 23.05.1949 ausnahmslos verboten.
2006 beschreiben Dr. Ronald Faber, LL.M. (Yale), Verfassungsrechtlicher Mitarbeiter am VfGH und Univ.-Prof. Dr. Franz-Stefan Meissel, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien im Vorwort in ihrer Studie „Nationalsozialistisches Steuerrecht und Restitution“ zusammengefasst die verbrecherischen Machenschaften des NS-Terrorregimes des Massenmörders Adolf Hitler und seiner braunen Spießgesellen nach dessen illegaler Machtergreifung am 05.03.1933. Dieses räuberische und plündernde System hat sich bis heute unscheinbar fortgesetzt, man muss nur genau hinschauen und hinhören auch wenn man es nicht glauben will, die Fakten sprechen jedoch nach 70 Jahren eine unmissverständliche Sprache:
„In moderner Terminologie lässt sich das nationalsozialistische System als Ausformung organisierter Kriminalität beschreiben. Die an die Macht gekommene „Bewegung“ konnte über das Rechtssystem souverän verfügen, und zwar sowohl über die Rechtsetzung selbst als auch über den „Rechtsapparat“ zur Interpretation und Vollziehung der Normen. So wurden die verbrecherischen Absichten auf ausgeklügelte und differenzierte Weise, wie es gerade passte, umgesetzt:
Einmal der offene und von einem gleichgeschalteten Staatsapparat nicht verfolgte Rechtsbruch, dann die explizit diskriminierende Rechtssetzung, schließlich die vor allem im Privatrecht wirksame Uminterpretation des geltenden Rechts durch seine dogmatische Aushöhlung.”
Die sog. Wiener Studie aus 2006 lässt den Schluss zu, dass sich diejenigen, die sich im NS-Terrorstaat des Massenmörders und Usurpators Adolf Hitler zwischen dem 05.03.1933 und dem 08.05.1945 als Steuerberater und Steuerhelfer verdingt hat, aktiv dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gestalt des millionenfachen Massenmordes an den Juden zugearbeitet hat. Über diese Täterschaft wird bis heute scheinbar der Mantel des Totschweigens gehüllt.
Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes denn auch seit 69 Jahren – Fehlanzeige -.