Die Nazis waren böse. Waren sie dumm? Antworten des Philosophen Rüdiger Safranski 1997

„Anspruchslos und banal, ja. In Bezug auf die geschäftsmässige, sachliche, dienstbeflissene Art, mit der ganz normale Menschen die Mordmaschine in Gang hielten, hat Hannah Arendt von der Banalität des Bösen gesprochen. Routinemässige Durchführung und der «höhere Befehl» erlaubten den Mördern immer noch ein reines Gewissen. Moral wurde durch zweckrationales Handeln ersetzt. Der Hitlerismus hat die Menschen verstaatlicht und damit auch das Verbrechen. Die Kriminalitätsrate sank. Kein Wunder, denn die potentiellen Verbrecher wurden einfach von der Strasse in den Staatsdienst geholt. Da kann man nur noch einmal Arendt zitieren: Der Einzelne ist auch für seinen Gehorsam verantwortlich.

Und der höhere Befehl? Kann man bei Hitler selbst von der Banalität des Bösen sprechen?

Ich glaube nicht. Hitler war ein finsteres Genie, ein sehr finsterer Religionsstifter eigentlich. In seiner Vernichtungspolitik folgte er einer Art Theologie. Hitlers Programm, mit der Ausmerzung der Juden einen neuen Menschen, eine neue Rasse hervorzubringen, ist der Versuch, einen Wahn wahr zu machen, indem man ihn verwirklicht. An Hitlers traurigen Erfolgen zeigt sich, wie sehr Geschichte vom Wahn, man kann auch sagen: vom Imaginären gesteuert wird.

Hannah Arendt sah in der Lüge das Fundament der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts.

Natürlich war Hitlers Politik voller Lügen. Hitler war skrupellos demagogisch, der Zweck heiligte für ihn jedes Mittel. An den Zweck aber, nämlich dass die Menschheit nur gerettet werden kann, wenn die jüdische Rasse von diesem Planeten verschwindet, daran glaubte er, und er hat andere dazu gebracht, das ebenfalls zu glauben. Das war nicht Lüge und auch nicht absichtliche Irreführung.

Sondern?

Das ist die Katastrophe der Freiheit.

Und diese Freiheit besteht worin?

In der Fähigkeit, die Wirklichkeit zu verändern, indem man sich ein Bild von ihr macht. Wir können uns eine Welt einbilden. Diese Welt entsteht natürlich nicht unabhängig von unseren Erfahrungen, Obsessionen, Wünschen. Aber sie ist doch etwas Neues. Das Denken ist mit dem Problem der Bilder noch nie fertig geworden. Und heute, da die Bilderflut ins Unermessliche wächst, wird Einbildung und Wirklichkeit noch einmal mehr durcheinandergewirbelt. Unser Bewusstsein lebt in einer wirklichen Welt und in vielen möglichen Welten, ohne sie sicher unterscheiden zu können.

Zumindest Hitler und seine Gefolgsleute konnten sie nicht unterscheiden.

Hitler hat die Juden als Bazillen gesehen, und als Bazillen hat er sie umbringen lassen.

Das ist konsequent.

Ja. Dabei darf nicht vergessen werden, dass sein Wahn Wurzeln hatte. Und zwar im 19. Jahrhundert, wo man an die wissenschaftliche Endlösung aller sozialen Probleme glaubte und forderte, dass die Moral nicht mehr die Wissenschaft behindern solle. Hitler war moralisch ja völlig enthemmt. Moral, Gewissen waren in seinen Augen Humanitätsduseleien jüdischer Abstammung. Den jüdischen «Geist» der zehn Gebote, vor allem das Tötungsverbot, wollte er ebenso systematisch ausrotten wie die jüdische Rasse. Hitler hat die Konsequenzen gezogen aus Nietzsches Worten von der Menschenwürde als Begriffshalluzination. Seit Hitler misst man den Fortschritt einer Kultur nicht mehr an dem, was sie idealerweise sein könnte, sondern am Abstand, den sie zu ihren grauenhaften Möglichkeiten gewonnen hat. Seit Hitler wissen wir, was es wirklich heisst, wenn Gott tot ist.

So bleibt uns eben nichts anderes, als an den Menschen zu glauben. «Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren», lautet der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Haben wir bei unserer Geburt «Würde», wie wir Arme und Beine haben? Nein. Wir kommen nicht mit Menschenwürde ausgestattet auf die Welt. Menschenwürde gibt es nicht einfach so, sie gilt. Und wenn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Würde des Menschen für unantastbar erklärt und sie ausdrücklich keiner demokratischen Mehrheitsentscheidung unterstellt, dann versucht man damit, in einer säkularen Welt ein Tabu aufzustellen. Eine gesellschaftliche Entscheidung wird in etwas verwandelt, was in Zukunft der gesellschaftlichen Entscheidung entzogen bleiben soll.“ (Das Gespräch mit Rüdiger Safranski führte 1997 Ursula von Arx für die Neue Züricher Zeitung.)

Alle bisherigen Erlebnisse und sowie die Ergebnisse umfangreicher Recherchen kommen zu dem Schluss, dass das NS-Terrorregime des Massenmörders und Usurpators Adolf Hitler und dessen braunen Spießgesellen bis heute immer noch existiert, äußerlich zwar nahezu farblos bzw. bunt, nach innen jedoch heimtückisch und skruppellos und um jeden Preis machtbesessen. Weitere Details lesen sich hier im Blog.

Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes  seit 69 Jahren – Fehlanzeige -.

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