Im Grundgesetzkommentar Sachs, 1996 hatte der Kommentator Michael Nierhaus wohl das dringende Bedürfnis im Licht des Art. 28 einmal in einem einzigen Satz auszudrücken was ein unrechtsstaatliches System kennzeichnen würde und formulierte es so:
»Ein unrechtsstaatliches System würde sich dadurch ›auszeichnen‹, daß es die Geltung der Grundrechte außer Kraft setzt, vor allem die Rechtsbindung aller drei staatlichen Gewalten und ihrer Hoheitsakte oder den Gerichtsschutz abschafft.« Michael Nierhaus, in Grundgesetz: GG, Kommentar, Sachs, 1996, S. 793, zu Rnr. 16 zu Art. 28 GG
Was für Nierhaus wohl 1996 nur in der Theorie existierte, war jedoch zu dem Zeitpunkt längst bundesdeutsche Realität geworden.
Jeder, der sich mit der rechtssystematischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes am 23.05.1949 ernsthaft und vor allen Dingen kritisch befasst, der muss zu der Erkenntnis kommen, dass nicht der Rechtsstaat eingerichtet worden ist, den das Bonner Grundgesetz bedingungslos vorschreibt. Um das Bestreben, das Bonner Grundgesetz, trotz seiner Funktion, die ranghöchste Rechtsnorm zu sein, systematisch auszuhebeln, in Gänze zu erfassen und zu begreifen, bedarf es unbedingt des Befassens mit den Inhalten der Protokolle des parl. Rates als dem Konstrukteur des Bonner Grundgesetzes.
Entlarvend das folgenden Zitat vom 11.08.1950:
»Es sei einmütig erklärt worden, daß bei unveränderter Aufrechterhaltung der im Grundgesetz verankerten Grundrechte durchgreifende Maßnahmen nicht getroffen werden können. Es müsse deshalb eine Änderung des Grundgesetzes in Erwägung gezogen werden.« Gustav Heinemann, 89. Kabinettssitzung am 11. August 1950
Schließlich schließt sich der Kreis im Jahr 2012, als im Deutschen Bundestag am Rednerpult der fragwürdige Abgeordnete Brüderle das Folgende laut und vernehmlich für alle zum Besten gab:
»Wir ändern keinen Grundgesetzartikel, aber wir ändern die innere Verfasstheit unserer Republik. Manche sprechen von einer stillen Verfassungsänderung.« Rainer Brüderle (FDP) zur Abstimmung über Euro-Rettungsschirm ESM und ESM-Finanzierungsgesetz, Freitag, 29. Juni 2012.
Der Staatsrechtler Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim beschreibt den bundesdeutschen Zustand so, Zitat:
»Hinter der demokratischen Fassade wurde ein System installiert, in dem völlig andere Regeln gelten als die des Grundgesetzes. Das ›System‹ ist undemokratisch und korrupt, es missbraucht die Macht und betrügt die Bürger skrupellos.« Hans Herbert von Arnim (Das System)
Wer jetzt nach formellen Staatsakten sucht, die die These des längst existierenden unrechtsstaatlichen Systems Bundesrepublik Deutschland belegen, der sucht vergebens, denn die Ausübung des staatlichen Unrechtes findet unscheinbar statt. Nur wer genau hinschaut und wer vor allen Dingen weiß, wie es von Grundgesetzes wegen korrekt zu funktionieren hat, bemerkt es aber auch nicht auf den ersten Blick, denn es ist nicht nur unscheinbar, sondern auch ungeheuerlich, was sich ganz normale Menschen dann, wenn sie in den bundesdeutschen Staatsdienst eingetreten, plötzlich herausnehmen bzw. zu was sie sich animieren und auch missbrauchen lassen.
Nazi – Deutschland hat praktisch nie aufgehört zu existieren auch wenn es einem beim flüchtigen Hinschauen nicht sogleich in den Sinn kommt.
De facto wurde die ersatzlos untergegangene NS-Rechtsordnung übernommen und auf der Basis von purifiziertem nationalsozialistischen Rechts bis heute gegen die Bevölkerung ziel- und zweckgerichtet exekutiert. ( Quelle: u. a. Laage, C., Die Auseinandersetzung um den Begriff des gesetzlichen Unrechts nach 1945, in: Redaktion Kritische Justiz (Hg.), Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, Baden-Baden 1998, S. 265-297.)
Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes trotzdem seit 69 Jahren – Fehlanzeige -.