Ist die teleologische Auslegungsmethode im Lichte der Art. 20 Abs. 3 GG, 1 Abs. 3 GG und 97 Abs. 1 GG bei der Rechtsfindung zulässig?

Expertise

zu der Frage

Ist die teleologische Auslegungsmethode im Lichte der Art. 20 Abs. 3 GG, 1 Abs. 3 GG und 97 Abs. 1 GG bei der Rechtsfindung zulässig?

In den Rechtswissenschaften wird die Teleologie als eine besondere Auslegungsmethode bezeichnet. Sie fragt nach Sinn und Zweck eines Gesetzes, sucht Sinn und Zweck des Gesetzes zu ermitteln und schreibt der Gesetzesnorm eine entsprechende Bedeutung zu.

Den Begriff der Teleologie (altgriechisch τέλος télos »Zweck, Ziel, Ende«) hat der deutsche Philosoph Christian Wolff 1728 in seiner Philosophia rationalis, sive logica eingeführt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des deutschen Rechts geleistet.

Die teleologische Auslegungsmethode hat ein Ziel vor Augen, das ergebnisorientiert begründet wird.

Weitere Auslegungsmethoden bei der Rechtsfindung sind die grammatikalische (Wortanalyse), die systematische (die Frage nach der Stellung im Rechtssystem) und die historische (die Frage nach dem gesetzgeberischen Willen), auf die hier nicht weiter eingegangen werden muss.

Der Gesetzesinhalt ist durch Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik festgelegt. Im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis vom Gesetzesinhalt abzugehen, ist logisch zwingend gesetzwidrig, unabhängig davon, ob man es Analogie oder teleologische Auslegung nennt.1

Die rechtsstaatswidrige subjektive teleologische Auslegungsmethode hat der Nazi-Jurist Erich Schwinge mit seiner Schrift »Teleologische Begriffsbildung«1930 maßgeblich propagiert. Sie fiel nach der illegalen Machtübernahme Hitlers auf fruchtbaren Boden.

Der Kronjurist des NS-Terrorregimes Carl Schmitt hat 1935 kurz und bündig festgestellt: »Das Gesetz ist Wille und Plan des Führers«. Das tragende rechtsstaatliche Fundament der Straf- und Strafprozessrechtslehre in Gestalt von Gesetzesinhalt, Gesetzesgebundenheit, Analogieverbot, Rückwirkungsverbot, Legalitätsprinzip usw. fielen damit der nationalsozialistischen Rechtslehre zum Opfer.

Schmitt setzte dem rechtsstaatlichen »nulla poena sine lege« (keine Strafe ohne Gesetz) den Gerechtigkeitssatz »nullum crimen sine poena« (kein Verbrechen ohne Strafe) entgegen. Folgerichtig wurde ein Jahr später das Analogieverbot in § 2 RStGB durch ein Analogiegebot ersetzt: Bestraft wurde danach auch diejenige Tat, die das Gesetz nicht für strafbar erklärt, die aber »nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient«.

Diese Änderung wurde nach dem Untergang des NS-Terrorregimes 1945 rückgängig gemacht. Der Satz »nulla poena sine lege« (keine Strafe ohne Gesetz) wurde gleichlautend in § 1 Strafgesetzbuch und in Art. 103 Abs. 2 GG aufgenommen.

Der Strafrechtslehrer Prof. Dr. Gerhard Wolf ist in seiner Schrift »Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken?« (HFR 1996, S. 52 ff) zu der Erkenntnis gekommen, dass der Rechtsbefehl »keine Strafe ohne Gesetz« im bundesdeutschen Rechtssystem bis damals nicht beachtet wurde. Nach seiner Erkenntnis liegt der Hauptsündenfall dabei nicht bei der Prüfung der Bestimmtheit von Straftatbeständen, sondern bei der Auslegung und Anwendung völlig eindeutiger Gesetze. Wolf verweist zu dieser Problematik auf das bekannte

Schulbeispiel:

»Dem Preußischen Gesetz betr. den Forstdiebstahl zufolge war für den Diebstahl eine schwerere Strafe zu verhängen, wenn ›zum Zwecke des Forstdiebstahls ein bespanntes Fuhrwerk, ein Kahn oder ein Lasttier mitgebracht ist‹. Der Bundesgerichtshof hat bei der Anwendung dieses Gesetzes im Jahre 1957 festgestellt: ›Dem bloßen Wortlaut nach fällt ein Kraftfahrzeug, wie es die Angeklagten zur Ausführung des Forstdiebstahls verwendet haben, allerdings nicht unter die Vorschrift, wohl aber nach ihrem Sinn‹. – Ein Nichtjurist, der ernstlich glaubt, ein Auto sei ein bespanntes Fuhrwerk, würde vermutlich in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht – zumindest zur Beobachtung. Der BGH bemerkt zwar die Unterschiede zwischen den genannten Fahrzeugarten, er meint aber, auf sie komme es juristisch nicht an. Der Kunstgriff, mit dem er die Gesetzwidrigkeit seiner Rechtsprechung kaschiert, lautet ›teleologische Auslegung‹.

Mit dieser rechtsstaatswidrigen teleologischen Auslegung des Preußischen Gesetzes betreffend den Forstdiebstahl im erschwerten Fall haben die auf das Bonner Grundgesetz vereidigten BGH-Richter den mit Verfassungsrang versehenen unverbrüchlichen Rechtsbefehl »keine Strafe ohne Gesetz« vorsätzlich durchbrochen. Mit dieser verfassungswidrigen teleologischen Auslegung wird es nach Prof. Dr. Ingo Müller (Fn. 4), S. 89 in »Furchtbare Juristen« der Richterschaft ermöglicht, den Gesetzesbruch als Gesetzesinhalt hinzustellen.

Die Artikel 97 Abs. 1, 20 Abs. 3 und 1 Abs. 3 des Bonner Grundgesetzes, wo es der Reihe nach heißt:

Art. 97 GG

Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

Art. 20 GG

(3) […], die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Art. 1 GG

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden […], vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

lassen eine teleologische Verfassungs- und Gesetzesauslegung weder durch die vollziehende Gewalt noch durch die Rechtsprechung zu. Diese grundgesetzlich normierte absolute Unzulässigkeit wird durch die Eidesleistung allen Amtsträgern der vollziehenden Gewalt gemäß § 38 BeamtStG und jedem Richter gemäß § 38 DRiG im Moment der Übernahme ihres jeweiligen öffentlichen Amtes vor Augen geführt mit der Folge, dass aufgrund dieser unverbrüchlichen Bindung an die ranghöchste Rechtsnorm in Gestalt des Bonner Grundgesetzes weder selbst die Verfassungsnormen und / oder Gesetzesvorschriften teleologisch ausgelegt noch die Übernahme teleologischer Auslegungsergebnisse aus der Rechtsprechung, der Rechtswissenschaft oder der Literatur (z.B. Kommentare, Aufsätze, pp) erfolgen darf.

Prof. Dr. Wolf führt in seiner Schrift »Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken?« mit Hinweis auf H. Mayer in SJZ 1947, 11, 16, 17 weiter aus:

»Der Grund für die Weigerung, nach 1945 zu einer strikten Beachtung des Gesetzeswortlauts zurückzukehren, lag und liegt bis heute in der Befürchtung, dieser Schritt würde auch dort ›zu engherziger Auslegung‹ nötigen ›wo ein dringendes und ernstes Strafbedürfnis besteht‹. ›Mit bloßer Rückkehr zu formaler Gesetzestreue läßt sich also der Schaden nicht heilen‹. ›Was durch den deutschen Wortlaut einigermaßen erfaßt wird, und was auch in der Rechtsprechung der anderen zivilisierten Länder als strafbar gilt, muß auch bei uns bestraft werden‹. Der Richter, der sich nur ans Gesetz hält, wird als ›Subsumtionsautomat‹ diffamiert.«

Prof. Dr. Ingo Müller hat sich in seinem Werk »Furchtbare Juristen« wie folgt zur teleologischen Auslegung geäußert:

»Die bedenkenlose Übernahme der ›teleologischen Auslegung‹ nach 1945 verkennt, daß diese ›noch heimtückischer‹ als die gesetzliche Zulassung der Rechtsanalogie zuungusten des Täters war. Sie kommt nur ›auf diskreterem Weg zum selben Ergebnis‹.«

Weiter führt Prof. Dr. Wolf mit Hinweis auf weitere Literatur folgendes aus:

»In der Konsequenz dieser allseits akzeptierten Auflehnung der Gerichte gegen die Gesetzesgebundenheit liegt der Übergang vom Rechtsstaat zum Richterstaat, und, wenn man dem Richter dabei die Befugnis einräumt, ungebunden das tun, was er für richtig hält, zum Willkürstaat. Der nationalsozialistische Staat war keineswegs nur, aber auch deswegen ein Unrechtsstaat, weil er kein Gesetzesstaat war. (…)

Auch im englischen Recht käme niemand auf den Gedanken, dem Richter das Recht einzuräumen, sich nach eigenem Gutdünken über Gesetze oder Vorentscheidungen hinwegzusetzen: ›Seit dem 18.Jahrhundert gilt der Satz, daß, was das Parlament von Westminster beschlossen hat, als Recht anzuwenden ist. Führt seine Anwendung zu unbefriedigenden Ergebnissen, so hält der Richter in seinem Urteil mit seiner Kritik nicht zurück und gibt damit nicht selten den Anlaß zu einer Änderung des Gesetzes‹. (Grünhut, in: Mezger/ Schönke/Jescheck, Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Bd. 3, Berlin 1959, S. 133 ff., 177). Zur Methode der Gesetzesauslegung in England vgl. z.B. H.P. Romberg, Die Richter Ihrer Majestät, Stuttgart u.a. 1965, S. 205 ff., 215 ff. Romberg kommt (S.207) zu dem Ergebnis: ›Weil sich nun der (sc. englische) Richter so eng an den Wortlaut hält, muß der Gesetzgesetzer seine Absicht präziser ausdrücken als der deutsche‹.«

Im Ergebnis ist festzustellen, dass die teleologische Auslegungsmethode im Lichte der Art. 20 Abs. 3 GG, 1 Abs. 3 GG und 97 Abs. 1 GG bei der Rechtsfindung unzulässig, weil verfassungswidrig ist, da sie dem Wortlaut und Wortsinn des Gesetzes entgegensteht oder dieses verkürzt oder erweitert, und die damit verbundene »Rechtsfindung« der Sache nach ein für die Rechtsprechung unzulässiger gesetzgeberischer Akt ist und zudem verhindert, dass der dem Grundgesetz nach eigentliche Gesetzgeber sich nicht mehr zum Handeln gezwungen sieht, sofern ein Gesetz dem Wortlaut und Wortsinn nach unklar ist. Die Gewaltentrennung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist ein gemäß Art. 79 Abs. 3 GG unverbrüchliches und unantastbares Verfassungsprinzip. Ist ein Gesetz derart unklar, dass es auf einen Einzelfall nicht anwendbar ist, hat der Gesetzgeber zu handeln, indem ausschließlich er durch Gesetz bestimmt, was Recht sein soll, und nicht stattdessen die Rechtsprechung, denn diese hat gemäß Art. 92 GG i. V. m. Art. 97 Abs. 1 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG ausschließlich auf der Grundlage der vom Gesetzgeber erlassenen Gesetze und gemäß deren Wortlaut und Wortsinn zu sprechen, was nach diesen Gesetzen Recht ist. Eine eigene »schöpferische Rechts(er)findung« ist dem Grundgesetz nach nicht zulässig.

Eine solche Art der »gesetzgeberischen Rechtsprechung« würde im Übrigen auch verfassungswidrig das Prinzip der grundgesetzlich gebotenen Rechtssicherheit und Berechenbarkeit aller auf der Basis des Bonner Grundgesetzes erlassenen gültigen bundesdeutschen Gesetzesvorschriften für den einzelnen Grundrechtsträger aufheben.

Die unzulässige teleologische Auslegung hat zur Folge:

Die auf das Bonner Grundgesetz vereidigten Richter und Amtsträger, die vorsätzlich ein geltendes Gesetz nicht anwenden oder ein geltendes Gesetz brechen, weil sie ein anderes Ergebnis für gerechter, für politisch opportuner oder aus anderen Gründen für zweckmäßiger halten, erfüllen den Tatbestand der Rechtsbeugung.

1Gerhard Wolf, »Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken?« (HFR 1996, S. 52 ff)

Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes trotzdem seit 69 Jahren – Fehlanzeige -.

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