Eine Rechtfertigungsprozedur ist im Lichte des absolut gefassten Freiheitsgrundrechtes nicht möglich und sowohl der vollziehenden als auch der rechtsprechenden Gewalt von Grundgesetzes wegen aufgrund ihrer unverbrüchlichen Bindewirkung an die Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 97 Abs. 1 Halbsatz 2 GG untersagt.
Diese grundgesetzliche Systematik hat der heute noch vielfach öffentlich zitierte Prof. Dr. Walter Jellinek bereits 1931 in der ENZYKLOPÄDIE DER RECHTS- UND STAATSWISSENSCHAFT, Verfassungsrecht, S. 204, Die Rechtsverhältnisse in der Verwaltung. Öffentliche Pflichten und Rechte, zu den öffentlichen Rechten des einzelnen gegen den Staat wie folgt dargestellt:
„Die Zweifler an der Möglichkeit öffentlicher Rechte gegen den Staat haben insofern recht, das es gegen die oberste Äußerungsform der Staatsgewalt, gegen den in verfassungsmäßigen Formen sich betätigenden Verfassungsgesetzgeber eines souveränen Staates, subjektive Rechte im strengen Sinne nicht geben kann, sondern höchstens absolute Begrenzungen des Staatswillens, die man allerdings der Kürze halber als Urrechte bezeichnen mag. Aber auch die übrigen Äußerungsformen der Staatsgewalt finden nicht notwendig eine Grenze an entgegenstehenden Rechten des einzelnen. Die bundesstaatliche Gestaltung des Reiches vermehrt die möglichen Stufenfolgen beträchtlich. Hier seien nur die wichtigsten Stufen aufgeführt. Dabei begreift die höhere Stufe die niedereren immer in sich; wer z. B. sogar gegen die Gesetzgebung geschützt ist, ist es erst recht gegen die Verwaltung.“
Prof. Dr. Walter Jellinek formulierte 1931 sodann das folgende bis heute gültige Beispiel:
„Die höchststufigen Rechte sind die gegen alle Gewalten mit Ausnahme des Reichsverfassungsgesetzgebers gerichteten. Das Recht des Deutschen auf Nicht-Auslieferung an das Ausland (Reichsverfassung Art. 112 Abs. 3) gehört hierher; denn kein Verwaltungsakt, keine gerichtliche Verfügung, kein Landes-, kein gewöhnliches Reichsgesetz, keine Maßnahme des Reichspräsidenten nach RV. Art. 48 Abs. 2 darf die Vorschrift durchbrechen.“
Sodann die Reichsrechtsprechung, die bis heute immer noch als gültig angesehen wird, immer dann übrigens, wenn es der rechtsprechenden Gewalt aber auch der vollziehenden Gewalt besonders nützt:
Bereits vor Jellinek hatte das Reichsgericht, der VII Zivilsenat, folgende Verfassungsfrage zu entscheiden:
„Sind die Sätze 5 und 6 in § 22 Abs. 1 der braunschweigischen Gesetzes vom 20. Juni 1919, zur Änderung der Neuen Landschaftsordnung vom 12. Oktober 1832, mit Art. 137 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 vereinbar?“
Im Beschluss vom 26.10.1921 in RGZ 103, 91 hat es für Recht erkannt:
„Ein Landesgesetz ist mit einem Reichsgesetz nicht vereinbar im Sinne von Art. 13 Abs. 2 RV. jedenfalls dann, wenn es durch das Reichsgesetz „gebrochen“ ist im Sinne von Art. 13 Abs. 1 RV. d.h. wenn es durch das Reichsgesetz beseitigt ist.“
„Aber die Kraft des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 RV. reicht noch weiter. Ihm widerspricht auch ein Landesgesetz, welches vor dem Inkrafttreten der Reichsverfassung geschaffen ist, wenn dieses Landesgesetz einen staatlichen Eingriff in die Verwaltung einer Religionsgemeinschaft enthält und wenn es erst unter der Herrschaft der Reichsverfassung ausgeführt werden soll. Es ist dann durch die vor der Reichsverfassung liegende Landesgesetzgebung ein Zustand geschaffen worden, der unter der Herrschaft der Reichsverfassung nicht hätte geschaffen werden dürfen und der deshalb unter ihrer Herrschaft auch nicht fortdauernd darf. … Eine Vorschrift, welche diese Wahl trotzdem anordnet, steht mit der Reichsverfassung in einem unvereinbaren Gegensatz und muss ihr weichen.“
Klare Worte, die von Grundgesetzes wegen aufgrund dessen Stellung als die ranghöchste Rechtsnorm der Bundesrepublik Deutschland von Grundgesetzes wegen gegen die öffentliche Gewalt deklaratorisch wirken und nicht erst durch konstitutive Gerichtsentscheidungen, das war damals in der Weimarer Zeit anders, weil die Bindung nicht so rigoros war.
Hier noch eine einschlägige Entscheidung vom 04.11.1930 in RGZ 130, 319, wo es heißt:
„Insoweit ist zwar den Klägern zuzugeben, dass die Entscheidung des Reichsfinanzhofes die Unvereinbarkeit der landesrechtlichen Steuervorschrift mit dem Reichsrecht nicht erst herbeiführt, sondern nur bindend feststellt, die Vorschrift sei mit dem Reichsrecht unvereinbar, also nach Art 13 Abs. 1 RVerf. nichtig. Die Nichtigkeit aber bestand nach Art. 13 Abs. 1 von dem Augenblick an, als die Vorschrift in Widerspruch zu einer reichsgesetzlichen Bestimmung trat, und sie reichte soweit, als dieser Widerspruch vorhanden war.“
Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Rverf. lautet:
„Reichsrecht bricht Landrecht.“
Da reiht sich sodann von Grundgesetzes wegen die BVerfGE -2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74- vom 28. Oktober 1975 nahtlos ein in die Reihe der hierarchisch zutreffenden Entscheidungen in RGZ 103, 91 von 1921 und RGZ 130, 319 von 1930 sowie Jellinek damals 1931:
„Ein Gesetz kann nicht durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift außer Kraft gesetzt oder abgeändert werden, ebenso wie es nicht durch einen Verwaltungsakt durchbrochen und nicht durch eine Rechtsnorm, die im Vergleich zum Gesetz von niedrigerem Range ist, verdrängt werden kann. Diese dem Gesetz kraft Verfassungsrechts innewohnende Eigenschaft, staatliche Willensäußerungen niedrigeren Ranges, insbesondere Verwaltungsakte und Allgemeinverfügungen, rechtlich zu hindern oder zu zerstören, kann sich aber naturgemäß nur auswirken, wo ein Widerspruch zwischen dem Gesetz und der Willensäußerung niedrigeren Ranges besteht. (vgl. BVerfGE 8, 155 [169 f.]).“
Bereits am 07.12.1956 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil 1 StR 56/56 entschieden:
„Die bewußte Benutzung der Formen des Gerichtsverfahrens zur Erreichung des Zweckes, der mit Recht und Gerechtigkeit nichts zu tun hat, stellt eine Beugung des Rechts i. S. von § 336 StGB dar. Wer gar nicht Recht sprechen will und die Formen der richterlichen Tätigkeit nur für die Erreichung anderer sachfremder Ziel benutzt, kann sich nicht darauf berufen, daß er sich – äußerlich gesehen – an die bestehenden Gesetze gehalten habe, denn dies ist bei einer solchen inneren Haltung nur zum Schein geschehen.“
Zu dem Problem einer gerichtlichen Entscheidung ohne gesetzliche Zuständigkeit hat sich der BGH in seinem Urteil vom 11.04.2013 in 5 StR 261/12 wie folgt geäußert:
„Die bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht für den Rechtsbeugungstatbestand notwendige konkrete Gefahr einer »falschen« Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Erwägungen die Zuständigkeit an sich zieht, um zu Gunsten oder zu Lasten einer Prozesspartei eine von ihm gewünschte Entscheidung (hier: Erlass eines Haftbefehls) herbeizuführen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre. Diese Voraussetzungen sind bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn eine in mit sachwidriger Motivation angemaßter Zuständigkeit getroffene Entscheidung vom zuständigen Richter aufgrund abweichender Sachverhaltseinschätzung, anderer Bewertung eines Beurteilungsspielraums oder abweichender Ermessensausübung anders hätte getroffen werden können, wie der unzuständige Richter weiß.“
Man weiß also von Staats wegen dem Grunde nach Bescheid. Mit Nichtwissen kann sich heute niemand mehr aus dem Kreis der bundesdeutschen öffentlichen Gewalt herausreden, zu erdrückend sind die Fakten, die dagegensprechen.
Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes trotzdem seit 69 Jahren – Fehlanzeige -.