Schamlos hatte man im Dritten Reich die Berufung auf den Buchstaben des Gesetzes als typisch jüdisches und liberalistisches Rechtsdenken diffamiert

Der Große Strafsenat des Reichsgerichtes unter dem Vorsitz seines Präsidenten Bumke hatte 1938 die deutsche Richterschaft ermahnt:

„Der Aufgabe, die das Dritte Reich der Rechtsprechung stellt, kann diese nur gerecht werden, wenn sie bei der Auslegung der Gesetze nicht am Wortlaut haftet, sondern in ihr Innerstes eindringt und zu ihrem Teile mitzuhelfen versucht, dass die Ziele des Gesetzgebers verwirklicht werden.“

Und diese Ziele hießen – daran konnte kein Jurist ernsthafte Zweifel hegen – brutale Unterdrückung politischer Gegner, Kriegstreiberei, aggressiver Imperialismus, Rassenhass und Völkermord. Wer nach 12 Jahren Nazidiktatur auch nur einen Funken juristischen Verstandes übrig behalten hatte, dem musste diese Realität der NS-Justiz offenbar werden.

Sollte ein Gesetzgeber bestimmen, dass Gartenzäune am Waldrand nicht rot angestrichen werden dürfen, dann mag ein Verwaltungsrichter privat durchaus am Sinn einer solchen Bestimmung zweifeln, aber er wird das seltsame Gesetz anwenden müssen. So vielleicht ließe sich vereinfacht der Grundsatz der Geltung des positiven Rechts erläutern. Aber wenn ein Staat absolute Grundsätze des materiellen Rechts, die sich in jedem Gesetzbuch der Welt finden, aushebelt, wenn elementare rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien suspendiert werden, wenn ein Staatspräsident handschriftliche oder mündliche Mordbefehle erteilt, dann mag ein verbrecherisch gesinnter Mensch, selbst wenn er von Beruf Richter ist, sich privat an diesem kriminellen Treiben beteiligen. Aber für sich in Anspruch zu nehmen, er habe bei all dem nur das geltende Recht angewendet, das ist keine fromme Legende, das ist eine Ungeheuerlichkeit. Nicht nur, dass fast alle von den Nazis geschaffenen Gesetze einen Bruch des übergeordneten materiellen Rechts darstellten. Nicht nur, dass diese Gesetze nicht auf rechtsstaatlichem Wege zustande gekommen waren. Selbst an die damals geltenden Gesetze haben sich Hitlers willige Vollstrecker in Robe oft genug nicht gehalten. Sogar die ruchlosesten Verordnungen haben sie noch verdreht und gebeugt, um Menschen für Nichtigkeiten an die Wand stellen oder an den Galgen knüpfen zu können.

Das all dies mit der Unterordnung unter faktisch geltendes, also positives Recht nichts mehr zu tun hatte, genau das wollte der Rechtsgelehrte Gustav Radbruch mit seiner berühmten Formel klarstellen. das ein strikter Positivismus nach 1945 zum Teil in Anspruch genommen wurde, um die vermeintlich rechtstreue Haltung der Richter in der NS-Zeit argumentativ zu rechtfertigen, stellt eine nachträgliche Verhöhnung seiner Arbeit und seiner Person dar. Denn den wesentlichen Aspekt seiner Formel – die Grenzen des positiven Rechts klar zu bestimmen – mussten alle diese Versuche ignorant überlesen.

Als einer der Ersten benutzte wohl der Kölner Staatsrechtler Jahrreiß, der in Nürnberg den NS-General Jodl verteidigte, das Positivismusargument. Er führte in etwa Folgendes aus: Anschütz habe wie Radbruch die Auffassung vertreten, dass Gesetze, die in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassen worden seien, von der Justiz weder aus verfassungsrechtlichen noch aus ethischen Gründen infrage gestellt werden dürften. Und so furchtbar sie in ihren Folgen auch gewesen seien, die Gesetze, die die Richter im Dritten Reich angewendet hätten, seien sie immerhin im Zuge ordnungsgemäßer Verfahren zustande gekommen.

Diese Auffassung funktionierte naturgemäß nur, wenn man die verfassungsrechtliche Realität des NS-Staates akzeptierte – was eine abenteuerliche Argumentationskette erforderte. Hitler war ja tatsächlich auf verfassungsmäßigem Wege Reichskanzler geworden. Der Reichstag hatte sich, vor allem mit dem Ermächtigungsgesetz vom 23.03.1933, gegenüber der Exekutive tatsächlich selbst entmachtet. Hitler hatte im August 1934 als so genannter Führer und Reichskanzler sowie als oberster Befehlshaber der Wehrmacht die höchsten exekutiven Staatsämter auf sich vereint. Und am Ende hatte der Diktator sich sogar legal zum gesetzgebenden Organ erklärt. In seiner letzten Sitzung am 26.04.1942 hatte ihn der Reichstag offiziell zum obersten Gerichtsherrn erhoben. Auch wenn dies durch reine Akklamation in einem Einparteienparlament geschah, verfassungsrechtlich, so der Schlussstein kühner Staatsrechtslogik, habe es sich trotz allem noch um den im März 1933 gewählten 8. Reichstag gehandelt – und damit um ein ordentliches Verfassungsorgan. Hitler sei also wirklich ligibus absolutus gewesen. (Quelle: Rolf Bossi – Halbgötter in schwarz, hier Auszug aus: „Naziunrecht als positives Recht?“; siehe auch „Juristen zu allem fähig“, Spiegel 22/1981 )

Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes sodann im Jahr 70 von Bundesrepublik Deutschland und Bonner Grundgesetz – Fehlanzeige -.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.