Wie kam es, dass so viele Deutsche still hielten, als die Juden deportiert wurden – auch in Darmstadt -? Zitat aus „Volk ohne Mitte“, Götz Aly, S. Fischer-Verlag, 2015

Auszugsweise aus „Volk ohne Mitte“ von Götz Aly, S. Fischer-Verlag, 2015:

„Wie verhält es sich vor rund 70 Jahren mit den Juden in Darmstadt?

Nach einer langen Zeit antisemitischer Propaganda, die, zumal an der hiesigen Technischen Hochschule, schon während der Weimarer Jahre starken Widerhall gefunden hatte, berief der Leiter der Darmstädter Gestapo Anfang März 1942 eine Sitzung ein. Sie fand im Plenarsaal des Landtages am Luisenplatz statt. In der Einladung stand ‚Umsiedlung der Juden aus dem Volksstaat Hessen‘. An der Versammlung nahmen Vertreter der Reichsbahn teil, der Reichspost, des Oberfinanzpräsidenten, der Grundbuchämter, der Gau-Wirtschaftsverwaltung, des Generalstaatsanwalts und weiterer Behörden. Am 20. März wurden die ersten tausend Juden von hier nach Lublin transportiert. Die nächsten Deportationen folgten am 27. und 30. September 1942. Sie betrafen mehr als 2.000 Menschen: 1.288 wurden in das Konzentrationslager für alte Leute Theresienstadt verschleppt, 883 jüngere Juden ins besetzte Polen, wo mittlerweile die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Teblinka errichtet worden waren. Die Transportbegleitung übernahmen nicht SS-Männer, sondern hiesige Schutzpolizisten, die sonst den Verkehr regelten, die öffentliche Ordnung wahrten, alte Leuten über die Straßen halfen und den Kindern Verkehrsunterricht erteilten. Das Sammellager für die todgeweihten Juden errichtete die Gestapo mitten in dieser Stadt in der Justus-Liebig-Schule. Wie sicher mussten sich die staatlichen Machthaber fühlen, wenn sie auf jedes Versteckspiel verzichteten! Die Schule blieb im März für einige Tage und vom 14. September bis zum 2. Oktober für den Unterricht geschlossen. In der Liebig-Schule mussten sich die eingelieferten Männer und Frauen nackt ausziehen und körperlich durchsuchen lassen. Anschließend katalogisierten Beamte und Sekretärinnen der Finanzverwaltung ihre Besitztümer peinlich genau. Sie nahmen ihnen Wertgegenstände, Parfümerieartikel, Medikamente, Lederwaren, gute Kleidungsstücke und Geld ab und übergaben die Beute teils dem Finanzamt, teils dem Darmstädter Einzelhandel, um dessen kriegsbedingt karges Sortiment aufzubessern.

Sozialarbeiterinnen und freiwillige Helferinnen der nationalsozialistischen Wohlfahrt versorgen die in der Schule gefangen gehaltenen Juden mit Suppe. Die Angestellten im Einwohnermeldeamt vermerkten auf den Meldekarten „unbekannt verzogen“ oder „ausgewandert“.

Die Darmstädter beobachteten, wie die Juden gruppenweise aus dem hessischen Umland zum Sammellager Liebig-Schule verbracht wurden, später konnten sie sehen, wie die Gefangenen von dort die etwa 1½ Kilometer bis zum Güterbahnhof durch die dicht bewohnten Straßen geführt wurden. „Alles ging exakt vor sich, in Ruhe und Ordnung“, wie ein beteiligter Kriminalbeamter nach dem Krieg vor Gericht bezeugte.

Der vor aller Augen vollzogene „Abtransport der Juden nach Osten“ war Tagesgespräch, selbst unter den Kindern, die schulfrei hatten. Fragten sie, was mit den Gefangenen geschehe, antworteten die Eltern: „Das sind Leute, die zum Arbeitseinsatz weggebracht werden!“ Das Wort „Juden“ vermieden die Eltern. Protest regte sich nicht. Die Darmstädter wollten nicht wissen, was da vorging. Sie waren längst mitschuldig geworden und die öffentlich organisierte Deportation zog sie noch tiefer in die Mitverantwortung.“ – Zitatende –

2006 beschreiben Dr. Ronald Faber, LL.M. (Yale), Verfassungsrechtlicher Mitarbeiter am VfGH und Univ.-Prof. Dr. Franz-Stefan Meissel, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien im Vorwort in ihrer Studie „Nationalsozialistisches Steuerrecht und Restitution“ zusammengefasst die verbrecherischen Machenschaften des NS-Terrorregimes des Massenmörders Adolf Hitler und seiner braunen Spießgesellen nach dessen illegaler Machtergreifung am 05.03.1933. Dieses räuberische und plündernde System hat sich bis heute unscheinbar fortgesetzt, man muss nur genau hinschauen und hinhören auch wenn man es nicht glauben will, die Fakten sprechen jedoch nach 70 Jahren eine unmissverständliche Sprache:

„In moderner Terminologie lässt sich das nationalsozialistische System als Ausformung organisierter Kriminalität beschreiben. Die an die Macht gekommene „Bewegung“ konnte über das Rechtssystem souverän verfügen, und zwar sowohl über die Rechtsetzung selbst als auch über den „Rechtsapparat“ zur Interpretation und Vollziehung der Normen. So wurden die verbrecherischen Absichten auf ausgeklügelte und differenzierte Weise, wie es gerade passte, umgesetzt:

Einmal der offene und von einem gleichgeschalteten Staatsapparat nicht verfolgte Rechtsbruch, dann die explizit diskriminierende Rechtssetzung, schließlich die vor allem im Privatrecht wirksame Uminterpretation des geltenden Rechts durch seine dogmatische Aushöhlung.” – Zitatende –

Geändert hat sich auch nach dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes am 23.05.1949 im alten Staat mit neuem Namen Bundesrepublik Deutschland dem Grunde nach nicht wirklich etwa. Man hat zwar die Todesstrafe per Art. 102 GG abgeschafft und den unverletzlichen Grundrechten Unmittelbarkeit gegenüber der öffentlichen Gewalt verliehen und dem Grundrechteträger gemäß Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsweg gegen die öffentliche Gewalt garantiert, wenn die nämlich ihn in seinen Rechten verletzt. Und es wurde eine quasi Weltneuheit in der bundesdeutschen Verfassung mit Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG implementiert, erstmalig müssen die Grundrechte, so sie per Gesetz oder durch Gesetz eingeschränkt werden sollen, so sie nicht absolut gefasst sind und keine gesetzliche oder durch Gesetz mögliche Einschränkung erfahren dürfen, in jedem einzelnen Gesetz namentlich unter Angabe ihres Artikels genannt werden.Unterlässt der Gesetzgeber diese zwingend von GG wegen vorgesehene die Grundrechte garantieren sollende Vorschrift anzuwenden, ist das komplette Gesetz vom ersten Tag an null und nichtig.

So schön kann Verfassung in Gestalt des Bonner Grundgesetzes sein, doch die öffentliche Gewalt hat sich praktisch vom ersten Tag mit dem ersten dem Bonner Grundgesetz folgenden ersten Bundeswahlgesetz einen Dreck um den unverbrüchlichen Inhalt des Bonner Grundgesetzes geschert und das ist auch 70 Jahre nach dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes noch immer so, de facto harrt das Bonner Grundgesetz inzwischen seit dem 23.05.1949 seiner wahren Erfüllung, ungestraft übrigens für die, die als öffentliche Gewalt in Gestalt des Gesetzgebers, der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt den Inhalt und die Wirkwiese des Bonner Grundgesetzes vollständig ignorieren. Stattdessen wird bis heute ebenfalls ungestraft die ersatzlos untergegangene NS-Rechtsordnung auf der Basis purifizierten NS-Rechts (Quelle: u. a. Laage, C., Die Auseinandersetzung um den Begriff des gesetzlichen Unrechts nach 1945, in: Redaktion Kritische Justiz (Hg.), Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, Baden-Baden 1998, S. 265-297.) grundgesetzwidrig in der Bundesrepublik Deutschland seit inzwischen 70 Jahren gegen die Bevölkerung exekutiert, sind die Menschen doch bloß „Menschen minderen Rechts“, denen man auch ggf. den „bürgerlichen Tod zu Lebzeiten“ von Seiten der öffentlichen Gewalt jederzeit bereiten kann und das ebenfalls straf- und haftungslos.

Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes  auch im Jahr 70 von Bundesrepublik Deutschland und Bonner Grundgesetz – Fehlanzeige -.

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