Folgenbeseitigungsanspruch gegen die bundesdeutsche öffentliche Gewalt aufgrund von Grundrechteverletzungen ja oder nein

Expertise

zu der Frage

„Ist das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruches Bestandteil des bundesdeutschen Rechtssystems?“

Obgleich der Folgenbeseitigungsanspruch zwecks Rückabwicklung wegen Grundrechte-verletzung im bundesdeutschen Rechtssystem nicht normiert ist, ist er dessen Bestandteil. Das wird von der juristischen Literatur und der Rechtsprechung einhellig anerkannt.

Die rechtliche Grundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs beruht auf den Vorschriften der Artikel 1, 19, 20 und 34 GG. Diese lauten in den einschlägigen Absätzen wie folgt:

Artikel 1 GG

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 19 Abs. 4 GG

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.

Artikel 20 Abs. 3 GG

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Artikel 34 GG

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

Da die Grundrechte als Ausfluss der Würde des Menschen unverletzlich und unveräußerlich sind, binden sie den Gesetzgeber, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht mit der Folge, dass jede Verletzung den Folgenbeseitigungsanspruch zwecks Rückabwicklung wegen der Grundrechteverletzung auslöst.

Dieser Rückabwicklungsanspruch wirkt gegenüber dem Gesetzgeber, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung in der Weise, dass der jeweilige Verursacher in Gestalt der Institution oder des jeweiligen Amtsträgers in der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung selbst unverzüglich nach dem bekannt werden der Grundrechteverletzung die Rückabwicklung vorzunehmen hat.

Im Falle der Unterlassung bzw. der Weigerung steht dem Grundrechtsverletzten der grundgesetzlich normierte Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz GG offen mit dem Ziel der deklaratorischen Feststellung der Grundrechteverletzung sowie der deklaratorischen Feststellung der Verpflichtung des jeweiligen Verursachers zur Rückabwicklung in den ursprünglichen Stand.

Diesem deklaratorisch festzustellenden Beeinträchtigungsbeseitigungsanspruch (vgl. Franke in VerwArch. 1966, 357) kann ein Folgenentschädigungsanspruch (vgl. auch Franke in VerwArch. 1966, 357) nachfolgen. Beide Ansprüche haben ausschließlich öffentlich – rechtlichen Charakter. Die zivilrechtlich geregelten Schadensersatzansprüche sind nicht einschlägig.

Der Folgenbeseitigungsanspruch in Gestalt des Beeinträchtigungsbeseitigungsanspruchs hat ausschließlich die verfassungswidrigen Folgen eines Tuns oder Unterlassens „in natura“ (durch Rückabwicklung) zu beseitigen. Dies bedeutet regelmäßig, dass (nur) der vor der Vornahme der Amtshandlung bestandene Zustand wiederherzustellen ist. Zutreffend hat Bettermann (DÖV 1955, 528 ff.) darauf hingewiesen, dass in bestimmten Fällen diese Restitution durch Geldzahlung zu erfolgen hat. Eine solche Geldrestitution kommt dann in Betracht, wenn die rechtswidrigen Folgen in einem Geldverlust bestehen.

Der Folgenbeseitigungsanspruch in Gestalt des Folgenentschädigungsanspruchs betrifft die Fälle, in denen über die Naturalherstellung hinaus ein weitergehender direkter Schaden entstanden ist, z.B. die Wiederherstellung des Leumunds oder der Ausgleich eines Wertverlustes.

Dieser grundgesetzlich von der Ewigkeitsgarantie gemäß Art. 97 Abs. 3 GG vor jeder Änderung geschützte und von der juristischen Literatur und der Rechtsprechung einhellig anerkannte Anspruch auf Folgenbeseitigung zwecks Rückabwicklung wegen Grundrechteverletzung bedarf dringend der einfachgesetzlichen Ausgestaltung in der Form von materiellen Regelungen sowie von Organisations- und Ausführungsbestimmungen, da der einfache Gesetzgeber dieser Pflicht bis heute nicht nachgekommen ist. Nennen wir die fehlende Gerichtsordnung VfGO (Verfassungsgerichtsordnung).

Das Fehlen der einfachgesetzlichen Regelungen betreffend den Folgenbeseitungsanspruchs zwecks Rückanwicklung wegen Grundrechteverletzung gibt den drei Gewalten ausdrücklich nicht das Recht zur Negierung des Folgenbeseitigungsanspruchs. Das hat bereits 1959 der BGH- und BVerfG – Richter Dr. Willi Geiger, dessen Person wegen seiner Verstrickungen in der Justiz des Dritten Reiches heute nicht mehr unumstritten ist, in seinem  Buch „Grundrechte und Rechtsprechung“ herausgestellt. Auf Seite 32 hat er den Anspruch auf deklaratorische Aufhebung von grundrechtsverletzenden Verwaltungsakten und Gerichtsentscheidungen unter Berufung auf die Entscheidung des Bayr. VGH München, Bayr. VerwBl. 1956, S. 378 bejaht. Geiger hat damals im Kapitel „Menschenwürde“ in Artikel 1 Abs. 1 GG geschrieben:

„Die Vorschrift enthalte die rechtlich verbindliche grundlegende Wertentscheidung, die für das Gesamtverständnis und für die Auslegung der Verfassung, insbesondere der in den Art. 1 – 17 GG nachfolgenden Grundrechte maßgebend sei. Ich würde dem allem zustimmen, allerdings meinen, dass in Art. 1 GG auch ein Grundrecht des einzelnen steckt: der Anspruch des einzelnen gegen den Staat auf Unterlassung jeglicher Kränkung der Menschenwürde, so weit die Maßnahme des Staates sich nicht schon als Verletzung einer der speziellen Grundrechte darstellt….“

„Andere Gerichte – … – haben aus Anlass der Aufhebung von Verwaltungsakten erklärt, aus Art. 1 GG folge, dass die Verwaltung bei allen ihren Maßnahmen die Würde des Menschen zu achten habe und das ein Verwaltungsakt, der dieser Anforderung nicht genügt, rechtswidrig und deshalb aufzuheben sei.“

Im Ergebnis ist festzustellen, dass das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs ein wesentlicher Bestandteil des bundesdeutschen Rechtssystems mit Verfassungsrang ist.

Das im Bonner Grundgesetz mit der Ewigkeitsgarantie geschützte unverbrüchliche  Rechtsinstitut des öffentlich – rechtlichen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs bedarf dringend der einfachgesetzlichen Installation, damit der Rechtsbefehl seine volle Wirksamkeit entfalten kann.

Da die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 2 GG unverletzlich sind und gemäß Art. 1 Abs. 3 GG gegenüber dem Gesetzgeber, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung unmittelbar geltendes, also erlaubnisfreies Recht bilden, muss eine Grundrechteverletzung von ihren Verursachern immer im Wege der Folgenbeseitigung durch Rückabwicklung geheilt werden, da die Grundrechteverletzung andernfalls fortbesteht und somit der der gesamten staatlichen Gewalt obliegende unverbrüchliche Rechtsbefehl zur Achtung und zum Schutz der unantastbaren Würde des Menschen missachtet wird.

Sowohl die Unmittelbarkeit der unverletzlichen Grundrechte gegenüber den drei Gewalten als diese unverbrüchlich bindendes Recht als auch das im bundesdeutschen Kostenrecht verankerte Verursacherprinzip macht das Folgenbeseitigungsverfahren zwecks Rück-abwicklung wegen Grundrechteverletzung für den Grundrechtsverletzten in jeder Hinsicht kostenfrei. – Ende –

Rechtsstaat auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes bis heute  – Fehlanzeige -.

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